Balkan Beats 2021 unter www.hardy-gruene.de

Liebe Leute

Seit gestern bin ich auf Tour über den Balkan. Von Trieste nach Athen geht die Route, wobei die genauen Etappen nicht festgelegt sind und es auch (noch) kein Rückkehrdatum gibt. Totale Freiheit oder „Tour d’Inspiration“.

Ich berichte darüber in meinem neuen Blog auf meiner Website http://www.hardy-gruene.de. Wenn ihr dort auf „NEWS (MEIN BLOG)“ geht seit ihr mittendrin im Abenteuer #BalkanBeats2021″.

Viel Spass dabei, euet hardy cyclist

Tour d’Afrique – Zehn Jahre danach

Heute vor zehn Jahren stand ich bibbernd vor den Pyramiden von Gizeh und wartete auf den Startschuss zu einem Abenteuer, das mein Leben verändern sollte: Die Tour d’Afrique. 12.000 Kilometer mit dem Fahrrad von Kairo nach Kapstadt. Vier Monate, zehn Länder, 94 Tagesetappen, durchschnittlich 123 Kilometer am Tag. Mein Rekord hatte bis dahin auf 166 Tageskilometern gestanden, und weil der Dezember 2010 der bis heute letzte „echte“ Winter mit viel Schnee war, ging ich frappierend untrainiert ins Megaabenteuer.

Ich habe gelitten, ich habe gejubelt (zum Beispiel über den Sieg einer Tagesetappe), ich habe mit schrecklichem Durchfall gekämpft, mich Berge hochgequält, bin durch die nordkenianische Wüste geschlichen, habe in rudimentären Camps übernachtet und all das gegessen, was man in Afrika so bekommt. Hab den Teamgeist genossen, aber auch entdeckt, dass ich gerne alleine auf dem Rad unterwegs bin. Bin tollen Menschen begegnet, habe mich manchmal wie ein Geldautomat auf Rädern gefühlt („give, give“), im Kinderlachen gebadet, das ich mit meinem Auftauchen auslösen konnte. Hab mich in Afrika verliebt, in diesen unfassbar fröhlichen Kontinent, der doch immer so am Rande des Abgrunds zu schweben scheint. Was wir Bewohner der Komfortzone von Afrika lernen können ist elementar: Leben im Moment, losgelöst von Sorgen und Furcht vor Dingen, die kommen könnten.

Die Tour d’Afrique hat mein Leben verändert. Meinen Fokus verschoben, mich zum Radreisenden gemacht, mir Erfahrungen geschenkt, die ich in unseren Breitengraden niemals machen könnte und die meine Perspektive auf die Welt und die Zusammenhänge veränderte. Wer are one world, das weiß ich spätestens seit 2011. Gerade mit Blick auf Afrika ein herausfordernder Slogan, wie wir in diesen Corona-Tagen erneut erfahren. 2024 könnte das Jahr sein, in dem Schwarzafrika Corona-Impfstoff bekommt. 2024! Der Blick aus der Komfortzone ist immer auch verzerrt.

Die Tour d’Afrique war in dieser Hinsicht ein zweischneidiges Schwert. Knapp 100 Abgesandte der Komfortzone radelten durch die ärmsten Gegenden des ärmsten Kontinent der Welt. Ich habe es damals nur geahnt, heute weiß ich es: die Tour d’Afrique als Erlebnisreise für gut betuchte Westler bringt vor Ort einiges durcheinander. Ich erinnere mich an viele Gespräche im Camp, wo wir über die Herausforderungen sprachen. Unsere eigenen, weil die kommende Etappe ein paar Hügel hatte, wir nicht wussten, wie genau das Terrain aussieht und immer wieder über unsere Rennzeiten. Über die Menschen, weil wir fürchteten, dass unsere kostbaren Carbon-Räder Schaden leiden könnten, denn sie wirkten verführerisch in der Armut Äthiopiens, Kenias oder Malawis. Über die Kinder, auf dem Kontinent mit dem geringsten Durchschnittsalter der Welt allgegenwärtig, die uns mit ihrer Fröhlichkeit bedrängten und mit ihrer bitteren Armut in einen Gewissenskonflikt brachten. Die Folgen, wenn 100 ausgehungerte Komforttouristen das Hotelbuffet stürmen oder in einen Supermarkt irgendwo in Nordmalawi einfallen und alles aufkaufen, was am Lager ist.

Aber wir haben Afrika auch gegeben. „Der Zirkus Tour d’Afrique ist zu Gast“, sagten wir oft, wenn wir abends im Lager saßen und in die großen Kinder- und Erwachsenenaugen um uns herum schauten. Wir brachten buchstäblich Farbe mit unseren Trikots, wir brachten aber auch Exotik. Ich erinnere mich an eine Szene in Nordkenia, wo ich erschöpft im Schatten saß und eine Cola trank, als ein Massai im klassischen roten Gewand mit Speer in der Hand auftauchte. Er sah mich, zückte sein Handy und machte ein Foto von mir. Wir waren auch Exotik in dem, was wir selbst als Exotik empfanden. Entscheidend war, dass Kontakt zwischen den Welten stattfand. Dann profitierten beide Seiten.

Zehn Jahre danach bin ich zutiefst dankbar für die Erfahrung, die mir neue Wege im Leben aufgezeigt hat. Pedal the world – das ist ein wunderbares Motto, und dass ich 2011 zum „hardy cyclist“ wurde („hardy“ steht im Englischen für „kühn“ und „widerstandsfähig“) war eine dieser raren Weichen im Leben, nach denen alles anders ist.

Zehn Jahre danach ist es aber umso wichtiger, in Pandemiezeiten den klaren Blick auf uns und Afrika nicht zu verweigern, sondern hinzuschauen. Unsere eigenen Probleme mögen greifbar, bedrängend, existenzbedrohend sein. Und unsere Gefühle dafür sind auch zweifelsohne berechtigt. Und doch stehen sie in Relation. Manchmal hilft es, genau das zu sehen. Nicht um unsere Probleme „klein“ zu machen, sondern um zu erkennen, dass es auf dieser Welt Menschen und Gegenden gibt, in denen die Lebensverhältnisse ungleich anders sind. Uns dass wir mit unserer komfortablen Lebenswelt daran einen Anteil haben. Dass wir mit unserem Konsumverhalten dazu beitragen, dass Kinder im Nordkongo ausgebeutet werden, weil sie Rohstoffe für unsere Handy abbauen, dass in Nigeria die Umwelt zerstört wird, um Öl zu fördern, dass in so vielen Ländern korrupte Politiker im Amt gehalten werden, weil wir mit ihnen so schön Handel treiben können.

We are the world!

Zur Tour d’Afrique habe ich ein Buch geschrieben, das es im Handel nicht mehr gibt, über mich aber noch bezogen werden kann. Für 15 Euro kann es über meine Website www.hardy-gruene.de bezogen werden (Shop/Bestellungen). Und wer meine Blogeinträge von damals nachlesen möchte kann hier beginnen, beim Bericht der ersten Etappe, die von Kairo in die Wüste führte.

Tour d’OSTalgie, Etappe 12

Als Fußballfan ist man ja schon ein bisschen meschugge. Hängt sein Herz an ein Konglomerat mehr oder weniger begabter bzw. interessierter Männer oder Frauen. Und ich hatte wahrlich ein ganz besonderes Talent für die Perlen im großen Vereinsmeer. Aufgewachsen in Dortmund wählte ich Göttingen 05 und überlebte meinen Verein, der 2003 das Zeitliche segnete.

Als Radfahrer ist man ähnlich meschugge. Steigt in einen Zug, der nach Suhl fährt, wo man hinwill. Steigt aber 60 Kilometer vorher aus, um dann nach Suhl zu radeln, wobei natürlich ein klitzekleiner Höhenzug namens Rennsteig dazwischen liegt. Flach kann ja jeder! Der Anstieg nach Oberhof war lang, heiß, manchmal (nicht immer) steil und vor allem wundervoll. Schön im Schatten gelegen, eingemummelt in üppige Natur, verkehrsfrei weil als Forstweg deklariert und schön serpentinig. So liebt es der meschugge Radler, da zieht er seine Energie und seinen Lohn raus!

Zwischen Rudisleben und Suhl liegen etwa 52 Kilometer und rund 750 Höhenmeter, die meisten von ihnen konzentriert auf etwa 20 Kilometer. Gemütlich entspannt ging es zunächst entlang der Wilden Gera, die sich ein schönes Tal gegraben hat, das dem Radler viel Freude beschert. Toller, verkehrsfreier Radweg, Dörfer ohne Zeitschema und mit tückischem Kopfsteinpflaster, Kleinstädte mit Namen, die ich noch nie gehört habe. Wie schön ist eigentlich Deutschland?!

Ich hatte heute übrigens noch einen weiteren Wesensanteil im Gepäck: den Nostalgiker. Der wollte schon seit Ewigkeiten nach Rudisleben. Weshalb das mit dem frühen Aussteigen aus der Bahn überhaupt erst in Erwägung gezogen wurde. Denn beim Blick auf die Karte zeigte sich, dass der Umsteigebahnhof Neudietendorf ziemlich nahe an eben jener Traumstadion Rudisleben liegt. Und was soll ich sagen – es lohnte sich! Einsam und vergessen steht dort eine herrliche alte Holztribüne aus dem Jahr 1954 und wird nicht müde, von der glorreichen Vergangenheit zu erzählen. Als die Ränge noch voll war und der Rasen gemäht. Seit Ewigkeiten ist beides nicht mehr der Fall, wartet die ehemalige Manfred-von-Brauchitsch-Kampfbahn der ehemaligen BSG Motor Rudisleben-Ichtershausen (die aus dem Zusammenschluss von BSG Nafa Ichtershausen und BSG Podjomnik Rudisleben entstand, mal ehrlich DDR-Namen SIND doch pure Poesie, oder?) auf ihren Abriss. Zigfach schien es schon soweit zu sein, zigfach waren die Bagger startklar. Aber sie steht noch immer und versucht, in ihrem tristen Zustand stolz wie eh und je auszusehen. Was ihr durchaus gelingt. Fast wünscht man sich, dass die Stadtverwaltung von Arnstadt, wozu Rudisleben gehört, doch noch ein Einsehen haben möge und das Kunstwerk rettet. Die Hoffnung stirbt zuletzt, auch wenn sie nicht berechtigt ist.

Zum Anstieg nach Oberhof habe ich mich schon geäußert. Oberhof selbst fand ich so lala. Viel zu viel (Schwer-) Verkehr nach dem entspannten Radwegradeln, viel zu viel Beton und viel zu wenig Charme. Vielleicht lags daran, dass ich exakt null geöffnete Kneipen gefunden habe (gefühlter Hochsommer, 15 Uhr), aber ich bin ziemlich fix wieder auf der anderen Seite runtergerollt und habe mich in eine Talfahrt gestürzt, die es in sich hatte. 13 Prozent und mehr, da richtet die Schwerkraft schon einiges an! Mich spülte sie nach Zella-Mehlis, das nicht ganz so romantisch war wie es sich anhört. Irgendwie hatte ich es heute mit Schwerlastverkehr…

Dann Suhl. Die Hauptstadt der Plattenbauten. Die Heimat des Verlegenheits-DDR-Oberligisten BSG Motor. Und natürlich, ich hör den Aufschrei unter euch Hammer- und Sicheljüngern, der legendären Simson-Werke. Alles nicht mehr da. Platte wurde mächtig abgerissen, weil von 68.000 Suhlern und Suhlerinnen nach der Wende nur 38.000 blieben. Die BSG Motor wurde zum Suhler SV 06 gewendet, die Simson treuhänderisch abgewickelt. Von 8.000 Arbeitsplätzen blieben zunächst noch ein paar hundert, heute gibt es nur noch ein Museum und die Sehnsucht nach früher.

„Nach der Wende haben sich alle gefreut, doch dann ist alles weggeworfen worden, was war. Das war schon bitter“, erzählte mir ein Zeitzeuge im Gespräch beim Suhler SV 06, wo ich fachkundig und überaus freundlich empfangen wurde. Zu den Spielen kommen heute übrigens noch knapp 100, wo es in den 80ern bis zu 12.000 waren. Fatal: die alte Industrie ist abgewickelt, dafür kam neue aus dem Westen, die in Suhl jedoch nur Dependancen betreiben. Der sportliche Leiter des SSV 06: „Wenn wir denen unser Konzept mit Jugendarbeit vorstellen dann finden die das ganz toll, sagen aber am Ende doch, ne, wir investieren in unseren Heimatverein im Westen.“

Suhl selbst ist ne spannende Stadt. Bis 1945 ein kleines Regionalzentrum mit schicker Innenstadt. Dann zur Bezirkshauptstadt hochgejazzt und zur Hauptstadt der Platte geworden. Hier standen (stehen) die prächtigsten und größten Plattendenkmäler der DDR-Geschichte. Direkt am Stadion gab es auch so ein Prachtstück. „Wohnscheibe“ war sein Kosename. „1.600 Leute wohnten da“, erfuhr ich beim Verein, „die hatten am Spieltag immer viel Besuch.“

Suhler Kontraste

Es ist, wie ich es schon oft erlebt habe: Erleichterung über die Wende, Wehmut über das, was danach passierte. Realismus, Pragmatismus. Beim Suhler SV 06 hoffen sie vor allem auf eine grundlegende Sanierung der Sportanlagen, denn „das hier ist alles noch aus den 80ern, seitdem ist da nichts passiert.“

In diesem Sinne, bis morgen zur nächsten Etappe, die mich ins legendäre Kaffeetälchen führen wird. Es lebe der Radsport, es lebe der meschugge Lebenswandel.

Ach, und auch das ist natürlich „Tour d’OSTalgie“…

Tour d’OSTalgie geht weiter!

Herrlicher Spätsommer, ein gepacktes Fahrrad und wunderbare Ziele vor Augen. Was könnte schöner sein? Meine kleine (große) Tour d’OSTalgie geht auf die nächsten Etappen, wobei es aus Zeitgründen diesmal nur drei sind, denn am Donnerstag wird meine Expertise in der Heimat gebraucht.

Aktuell sitze ich im Zug von Leinefelde nach Neudietendorf. Das ist bei Erfurt, vor allem aber bei Arnstadt. Und da steht die erste Station meiner Reise an: Die Besichtigug der schon mehrfach für „jetzt wird sie aber endgültig abgerissen“ uralten Holztribüne in Rudisleben. Ein Highlight gleich zu beginn, das mir Schwung geben wird für 50 folgende und ziemlich hügelige Kilometer über Oberhof und Zella-Mehlis nach Suhl. Eigentlich müsste ich ja mit nem Simson-Zweirad nach dorthin unterwegs sein, doch die abgasfreie Variante ist mir dann doch lieber. Suhl ist Etappenstation, und ich bin schon sehr gespannt auf Stadt, Stadion und Verein, der sich sehr engagiert hat, mir einen Gesprächspartner zu organisieren.

Ab morgen wird die Tour d’OSTalgie dann ein bisschen zur Tour de Kali. Das war sie im Übrigen letzte Woche schon mal, als ich Bischofferode und Bleicherode besuchte, die in gemütlicher Etappendisstanz zur Heimat liegen. Die Kali-Geschichte ist ja ein ganz eigenes Kapitel DDR-Industriegeschichte, und gerade Bischofferode mit dem großen Hungerstreik 1993 und dem eklatanten Versagen namentlich der Treuhand stehen sicher düster herausragend dafür.

Bleicherode wiederum hat schwer gelitten seit der Wende, versucht aber dennoch, sich brav herauszuputzen. Wie ihr an den Bildern weiter unten sehen könnt eine schwierige Herausforderung, denn die alte Kali-Region Nordthüringen ist schon erschreckend strukturschwach.

Kali? Thüringen? Werra-Radweg? Na, da fällt der Groschen, wo die weitere Reise nach Suhl hingeht, oder? Endlich! Endlich dieses sagenumwobene Kaffeetälchen in Tiefenort sehen und diese vertückten Menschen treffen, die dort Geschichte mit Gegenwart verbinden. Kerr watt freu ich mich!

Mittwoch gehts dann über Eisenach zurück, womit ich das angekündigte Sommerhoch schön auskosten kann. Berichte und Bilder kommen natürlich, hier schon mal einiges von der Bischofferode/Bleicherode-Tour.

Bleicherode Zentrum
Richtung Bischofferode
Bischofferode mit seiner Abräumhalde
Fußballkultur der Region

Tour d’OSTalgie, Etappe 11

Boah, hab ich geflucht! Auf den Verkehr! Auf den Regen! Auf die Laster, die gefühlt in zehn Zentimeter an mir vorbeirauschten und mich mit Spritwasser vollsauten. Vor allem aber über die Verkehrspolitik hier oben, die es schafft, entlang der B109 zwischen Torgelow und Anklam weder einen Radweg zu bauen noch irgendwelche Alternativrouten anzubieten. Es ging einfach nicht anders, mein Strecke führte entlang der höllisch befahrenen wichtigsten Bundesstraße.

Spaß machte das nicht, schon gar nicht bei Regen. Irgendwann kurz hinter Torgelow ging es los, bekam der ausgedörrte Boden die dringend benötigte Flüssigkeit von oben. Und ich war mitten drin. Als Kollateralschaden sozusagen. Erst kurz vor Anklam tauchte endlich eine Nebenstraße auf, dünnte zudem der Regen aus, konnte ich tatsächlich trocken übersetzen auf Usedom, wo die erste von mehreren Tour d’OSTalgien dann endete. Usedom ist übrigens wellig. Also mal so richtig wellig! Da kommt ordentlich was an Höhenmetern vorhanden, zumal die Radwege der wellien Topografie folgen, während für die Bundesstraße daneben die ganzen Huppel glattgebügelt wurden.

Zwei Wochen am Stück Galasommer und ich komm ans Meer, das frisch und bewölkt ist und Regen präsentiert. Muss man auch erstmal schaffen, oder? War jedenfalls ne ganze schöne Umstellung von „so wenig Kleidung wie nötig“ zu „so viel Kleidung wie möglich“. Trotzdem: insgesamt natürlich perfektes Wettertiming!

Ebenso die Technik. Gestern sah ich kurz vor dem Ziel, dass mein Hinterrad eiert. Als ich mich heute morgen mit einem Speichenspanner an die Arbeit machte, sah ich das Maleur: die Hinterradnabe ist gebrochen! Materialermüdung nach zu vielen aüdamerikanischen und albanischen Bergen sowie rauen ostdeutschen Kopfsteinpflaster-Holperstrecken. Aber auch da: perfektes Timing!

Ansonsten brachte die letzte Etappe wenig Erzählenswertes. Sie war vor allem geprägt vom nervigen Verkehr und Regen, was mir die Urlaubsstimmung zeitweise doch ein bisschen trübte. Highlight des Tages war eines der vermutlich Hunderten von Waldstadien, die wir in Deutschland haben. Es befand sich (logischerweise) im Wald neben einer kleinen Siedlung, die eine besondere Geschichte hat. Drögeheide liegt kurz vor Torgelow und gehört zu einem riesigen Truppenübungsplatz mitsamt gewaltigem Kasernengelände. Teile davon stehen leer, und Namen wie „Ernst-Thälmann-Siedlung“ verraten den vorherigen Besitzer, andere Teile wurden von der Bundeswehr übernommen und sind noch/wieder im Betrieb. Überall wuselte es olivgrün und erinnerte mich an weichenstellende 15 Monate vor langer Zeit in meinem Leben.

Auch nicht übernommen von der Bundeswehr wurde das Waldstadion Drögeheide, in dem von 1984 bis 1989 die Armeeelf der ASG Vorwärts Drögeheide Drittligafußball spielte. Die goldenen Zeiten des Armeesports in der DDR. Das Areal liegt herrlich und ist bestens gepflegt. Der dafür Verantwortliche stand zufällig im Plausch mit einem Passanten vor den Stadiontoren und war nur zu begeistert, mir alles zu zeigen. Und stolz über den sattgrünen Rasen von B-Platz wie Hauptplatz zu schwärmen, den er in diesem sandigen und trockenen Gelände nur deshalb hinbekommt, weil eine Berieselungsanlage eingebaut ist.

Gespielt wird nur noch Jugendfußball. Trotz hoher Soldatendichte gibt es keine Männermannschaft mehr, seitdem der letzte Geldgeber „Volkssolidarität“ abgesprungen ist. Und so ist das Waldstadion Drögeheide ein wunderbares Areal mit hohem Romantikpotenzial aber ohne Heimelf. Trotzdem: wer in der Gegend ist sollte mal im vergessenen Waldstadion von Drögeheide vorbeischauen!

Torgelow wiederum ist eine Stadt mit langer Geschichte, die ein schön anzusehende Zentrum hinterlassen hat und eine Eisengießerei, die zu DDR-Zeiten den Namen „Max Matern“ trug. Es war auch Namens- sowie Geldgeber der örtlichen Fußball-BSG war, die lange „Liga“ spielte und heute in der Oberliga unterwegs ist, also das klassenhöchste Team im äußersten Nordosten stellt. Heute heißt man Torgelower FC Greif und spielt im Spartacusstadion. Der Platzwart in Drögerheide war übrigens ganz im Schwarz-Gelb des Greifs gekleidet, hatte aber nicht allzu viel positives über dessen Zukunftsaussichten zu berichten. Das alte Problem: kein Geld, dazu die zwar attraktive Lage nahe der Küste, aber eben auch ganz schön weit weg von vielem.

Freilich hatte der gute Mann ein ganz anderes Problem. Er schaute nämlich neidisch auf mein Bike, das neben seinem Motorroller parkte. „Früher bin ich auch immer mit dem Rad von Torgelow hierher gefahren. Heute krieg ich schon nach 500 Metern Schnappatmung. Die Kondition ist weg, und ehrlich gesagt kann ich mich auch nicht mehr aufraffen. Aber ich würde schon gerne wieder Radfahren.“ Vielleicht konnte ich ihn ja doch ein bisschen motivieren, seinen Hintern wieder in den Fahrradsattel zu bekommen, denn irgendwie gefiel ihm meine kleine Osttour doch sehr gut, zumal sie ja mit seinem gelieben Fußball zusammenhing.

Nach Torgelow gings dann auf die Alptraum-109, die ich für knapp zwei Stunden bis Anklam nicht mehr verlassen sollte. Aber das hatten wir ja schon 😅

Und damit ist die erste Osttour beendet. Es wird nicht die letzte gewesen sein, denn es warten noch so viele Orte, in denen große Kombinate Bündnisse mit dem Fußball eingingen. Tiefenort natürlich, das Erzgebirge, wo die Geschichte in Aue ja so erfolgreich weiterlebt, Espenhain, Sömmerda, der ganze Raum um Halle, Leipzig und weiter bis Wolfen, Rostock mit der Fischindustrie und viele andere mehr (gebt gerne Hinweise auf weitere Ziele und meldet euch, wenn ihr Lust habt, mich anradeln zu lassen!).

Dass die DDR-Fußballgeschichte gerade in diesem Bereich so viel zu erzählen hat ist mir jedenfalls mehr als deutlich geworden, und auch, dass diese Geschichten so viel vom damaligen Alltag im Land erzählen.

Aus „Wessi“-Sicht ist die DDR-Geschichte ja oft so ein bisschen rätselhaft/kurios/unverständlich, weil „uns Wessis“ die konkrete Erfahrung mit Planwirtschaft, den Strukturen und begrenzten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, die Hierarchien und natürlich auch der Stasi fehlt. Je mehr ich abtauche in diese Welt desto „normaler“ wird sie zugleich, denn aus „Ossi“-Sicht war sie ja schlicht der Alltag, den man möglicherweise hinterfragt und (heimlich) kritisiert hat, der aber nichtsdestotrotz das eigene Lebensumfeld darstellte. Und da bin ich immer wieder voller Ehrfurcht, wie man versuchte, die in vielen Bereichen von Mangelwirtschaft geprägte Lebenswelt zu gestalten. An dieser Stelle dann gleich nochmals der Hinweis auf das bereits erwähnte Buch „Alltag in der DDR“, das mich auf dieser Tour begleitet hat und mir viele Dinge erzähle, durch die ich verstand.

Das wichtigste aber zum Schluss. Die bewegendsten Momente hatte ich immer wieder, ob in Riesa oder Zittau, in Döbern oder Brieske, bei Schwarze Pumpe oder in Drögeheide, wenn es um die Trennung und die Vereinigung ging. Die Mauer aus Europa geschafft zu haben ist eine historische Leistung von Ost wie West, und es ist etwas, was wir auch in wilden und durchaus zerstrittenen Zeiten wie diesen nie vergessen sollten. Lasst uns dieses Land gemeinsam entwickeln, mit all seinen unterschiedlichen Facetten und Menschen, seinen Vergangenheiten und Zukunften, seinen Menschen, ob es Sachsen, Sorben oder Vorpommern sind, und auch jenen Menschen, die in Deutschland gerade eine neue Heimat suchen, so, wie es in dem von mir bereisten Raum schon seit Jahrtausenden Menschen getan haben und weiter tun werden. We are the world!

Und damit „Sport frei!“, danke fürs „mitfahren“ und bis bald, euer hardy cyclist

Zum Schluss noch ein Hinweis: das Material dieser Tour wird in mehrerlei Hinsicht Verwendung finden. Zum einen in Vereinsporträts der Buchreiche „ZEITSPIEL-Legenden: Fußballvereine“, von denen der erste Band bereits erschienen ist (siehe „W“ Link unten), zum anderen im Magazin Zeitspiel und schließlich möglicherweise eines Tages in einer größeren Studie zum gesamen Komplex „Schwerindustrie und Fußball“, einem der möglicherweise spannendsten Aspekte der Fußballgeschichte.

Ach ja: das Buch zur Albanien-Tour entsteht bereits. Ob es bis Weihnachten klappt ist noch nicht sicher, ich bin aber hoffnungslos 😉

Tour d’OSTalgie, Etappe 10

Heute hat mich der Goldene Reiter gejagt! Am Vormittag war noch alles prima. Während meiner Mittagspause am Penkuner See traf dann eine Radlerin aus Freiburg ein. Wir genossen Essen und Aussicht gemeinsam, verquatschten ein bisschen die Zeit. Bis dahin war das Wetter schwül, leicht bewölkt und nicht ganz so heiß gewesen wie gestern. Ein leichter Wind kam aus Nordwest, meine Zielrichtung. War aber okay. Nichts, um sich Sorgen zu machen.

Mittagspause am Penkuner See

Als ich nach ner Stunde wieder aufbrach hatte der Goldene Reiter sein Tagewerk gerade begonnen. Tief im Westen (nein, nicht dort, wo Grönemeyer singt) hatte er den Horizont in tiefes Blau getaucht. Starke Winde sorgten dafür, dass die ausgedörrten und staubtrockenen Felder zu kleinen Sandstürmen wurden, die über die Straßen fegten.

Ich hatte noch etwa 54 Kilometer zu fahren, die ich eigentlich gemütlich abpedalieren wollte um noch einen Zwischenstopp an einem Badestrand kurz vor dem Etappenziel Pasewalk machen wollte. Das alles fegte der Goldene Reiter nun davon. Aus einem flotten 23er Schnitt wurde ein mit Mühen gehaltener 20er, und wann immer ich im Wind stand schien es, als bewege sich die Tachonadel gar nicht mehr. Währenddessen wurde es in Richtung meine Zielortes dunkler und dunkler. Der Goldene Reiter erwartete mich offensichtlich direkt in Pasewalk.

Irgendwann kam ich mal kurz ins Internet und sah die frohe Botschaft auf dem Regenradar: südlich von Pasewalk zwischen 14 und 17 Uhr 20 mm Niederschlag. Wer mit diesen Werten nicht so vertraut ist: es gallert mal so richtig, und dabei mit dem Fahrrad unterwegs zu sein ist alles andere als lustig.

Was tun? Ich befand mich in einem weitestgehend dorfentleerten Raum, Unterstellmöglichkeiten waren also rar. Und irgendwo Warten fand ich sinnlos. Also Gas geben und langsam vorwärtstasten. Immer mit dem Blick an den Himmel im mal wieder internetlosen Raum. Einmal, so etwa 30 Kilometer vor dem Tagesziel, hatte er mich fast eingeholt, der Goldene Reiter. Versprühte seine Gischt, zeigte mir, was er im Gepäck hatte. Doch ich konnte ihm den Stinkefinger zeigen, denn meine Route ging rechts ab und damit zurück ins Trockene.

Dann erreichte ich Brüssow, wo ich eigentlich den Nachmittag am Strand hatte verbringen wollen. In der Strandbar hieß es, in Parchim sei Land unter. Straßen geflutet und so. Drei ältere Einheimische schauen für mich abschätzend in den Himmel: „In ner knappen Stunde geht es los“, war einhellige Meinung. Ich hatte noch 18 Kilometer, darunter ein langer Anstieg (nebenbei: wer behauptet, die Uckermark sei flach war hier nie mit dem Rad unterwegs!).

Mit Karacho schoss ich los, bereit zum Duell mit dem Goldenen Reiter. Fünf Kilometer vor Pasewalk nasse Straßen. Er war da gewesen! Und lauerte noch immer dunkelblau am Himmel. Der Verkehr in Pasewalk zermürbend. Wieder eine von diesen Städten, in denen der Autoverkehr alle Rechte und der Rest keine Rechte hat. Meine Unterkunft, die mitten im halb brachliegenden alten Lokschuppen lag, zu finden, kostete weitere Nerven. Doch noch immer war es trocken. Erst als ich mein Rad abstellte und ins Büro des Lokschuppens marschierte, tauchte der Goldene Reiter auf. Vergoss ein paar Tränen der Enttäuschung, weil er gegen the hardy cyclist verloren hatte. Schüttelte sich einmal, als ich schon meinem Abteilzimmer lag, dann zog er enttäuscht von dannen!

Meinen Lohn für den Husarenritt bekam ich später. Erst erwies sich Pasewalk als eigentümliche architektonische Mischung aus uralter Bausubstanz, sowjetischen Einflüssen und funktionaler Platte. Alles wild durcheinandergewürfelt, sehr bizarr. Dann gab es lediglich drei Döner-Buden im Ort, die Essen offerierten. So semioptimal. Erst nach ein bisschen Rumfragen bei der Handvoll Passanten auf dem Marktplatz erfuhr ich von einer Pizzeria in einer Nebenstraße. Und was soll ich sagen: es war die beste Pizza seit dem Start meiner Tour! Supernett, ein echt cooler Koch und essen wie in bella Italia. Wenn ihr mal in Pasewalk seid: Pizzeria Donna Isabella!

Bis Schwedt hatte ich am Morgen die letzten Kilometer auf dem Oder-Neisse-Radweg verbracht und nahm ein bisschen traurig Abschied davon. Ab sofort hieß es normale Straßen mit normalem Verkehr. Schwedt war ein bisschen erschreckend. Am Hafen alt und hübsch, sonst Platte. Das Viertel, in dem das Stadion liegt, heißt übrigens „Neue Zeit“. Nun, die ist ja nun auch seit 30 Jahren schon wieder vorbei, die Neue Zeit. Schwedt war zu DDR-Zeiten die Erdölstadt des Landes. Hier kam das schwarze Gold aus der Pipeline in die UdSSR an, hier wurde es veredelt. Die Betriebsportgemeinschaft trug anfangs den Namen BSG Erdöl, ehe sie später zur BSG Chemie PCK wurde. Das Petro Chemische Kombinat war Hauptarbeitgeber der Region, und es ist noch immer gigantisch. Meinen Plan, es einmal zu umrunden, gab ich schon nach wenigen hundert Metern auf, denn es ist nicht nur riesig, es stinkt ungemein nach Öl und es ist umgeben von einem wild wuselnden LKW-Verkehr.

Das „neue“ Stadtzentrum ein Klassiker der sozialistischen Lebenstheorie. Kaufhaus, kleine Kaufläden, ein bisschen Grün, ganz viel kalter Beton und ein paar Kunstwerke. Voila, fertig ist die sozialistische Wohnstadt. Ob es sich gut leben lässt? Mein kurzer Eindruck war: geht so. Auch Schwedt braucht noch einen zweiten Blick, zumal ich dort bislang niemanden gefunden habe, der mir ein bisschen vom gestern erzählt.

Nun bin ich also in Pasewalk im Lokschuppen. Eigentlich sollte er abgerissen werden, doch eine Initiative wusste das zu verhindern. Und verwandelte das das darniederliegende Areal in ein Museumsgelände mit Übernachtungsangebot in original DDR-Schlafwagen. Da kam dann durchaus die Erinnerung auf an eine Zugfahrt von Dresden nach Bukarest im Sommer 1990, als die Grenzen plötzlich offen waren und die Bahnpreise unfassbar billig.

Morgen geht meine erste Tour d’OSTalgie mit einem Ausflug an die Ostsee langsam zu Ende. Zwei Tage am Strand, ein Ausflug nach Peenemünde und einer nach Świnoujście stehen noch an, ehe es Samstagmorgen per Bahn zurück ins Südniedersächsische geht. Als erstes Fazit kann ich schon sagen, dass ich viel gelernt, einiges verstanden und ganz viel sehr genossen habe. Fußball war wie immer eine grandiose Brücke zu Menschen und Vergangenheit, und die Kombination aus Fußball- und Industriekultur ist wahrlich eine spannende. Da gibts noch viel zu entdecken, und ich freu mich drauf. Aber erstmal gibts morgen ja noch den letzten Tour-Report. Mal gucken, ob der Goldene Reiter sich bis dahin endgültig verzogen hat.

Eins hab ich noch zum Schluss, und das macht mich ratlos. Überall in der Region finde ich diese Denkmäler, für die „Helden“, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg „fielen“. Dass die ausgerechnet in der DDR offenbar weitergestanden haben und ebenso offenkundig nach der Wende aufwändig restauriert wurden überrascht mich. Falls jemand nähere Hintergünde zum Umgang mit den Erinnerungstafeln zur DDR-Zeit hat bitte gerne mal melden!

Tour d’OSTalgie, Etappe 9

Über weite Strecken war ich heute als Hochgeschwindigkeitszug in der Bratröhre unterwegs. Fast 40 Grad in der quasi nie zu vermeidenden Sonne, ein autofreier Radweg entlang des Oderdamms und unterstützender Rückenwind machten es möglich. Es war eine Etappe des Kilometerschruppen, denn so schön der autofreie Radweg auch war, und so urzeitlich der Oderbruch daherkam: bei der brütenden Hitze war kaum etwas anderes möglich. So standen am Ende 136 Kilometer auf dem Bordcomputer, weil ich einen Campingplatz weiterfuhr, denn der hatte im Vergleich zum ursprünglich ausgesuchten einen unschlagbaren Vorteil: einen Badesee mit Strand.

Überhaupt: ist diese Industrie-und-Fußballkultur-Tour nicht längst zu einer gemütlichen Reise entlang der Badeseen geworden? Seit Weißwasser, also seit Donnerstag, hab ich nur eine Nacht nicht an einem Badesee gecampt: in Cottbus, da gibt es nämlich keinen Camping. Und auch keinen See.

Ich hab sie lieben gelernt, diese Wasserlandschaften, die in vielerlei Hinsicht wie ein Ausflug ans Meer erscheinen. Vor allem der Helene-See letzte Nacht mit einem kilometerlangen Sandstrand und echtem Meeresflair. Nicht nur diesbezüglich hat sich mein Bild über den Osten in den letzten Wochen übrigens kräftig revidiert! Wurde echt Zeit, mal mit dem Reisen im eigenen Land anzufangen!

Was ich aber auch sehe, sind verbrannte Landschaften. Die Region leidet unter unfassbarer Trockenheit. Ganz schlimm war es zwischen Hoyerswerda und Senftenberg, wo sich regelrechte Steppe ausbreitet. In einem Dorf habe ich mal jemanden gefragt, ob das normal sei, und er meite, das wäre seit einigen Jahren oft so. Und mein Stadtführer in Brieske, dort geboren und aufgewachsen, ergänzte, dass die Seen, entstanden aus den Abraumhalden des Tagebau, mit verantwortlich seien: sie bilden eine regelrechte Wetterscheide, die Regen verhindert.

Heute war es wieder karg entlang der Strecke, zumindest nördlich von Frankurt. Und hier am Parsteiner See ist dee Wasserlevel auf Rekordtief. Frankfurt hatte dann übrigens auch etwas damit zu tun, dass ich auf dem Oderbruch etwas mehr Gas gab, denn es kostete reichlich Zeit, dort durchzufahren. Zumal ich ja meine eigentümlichen Besuchsziele habe, wie das Fritz-Lesch-Stadion, in dem einst die BSG Halbleiterwerke (HFO) auftrat und natürlich das Stadion der Freundschaft, wo man früher Europapokal spielte. Zwei Grounds mit eigenem Flair. Das eine – das der BSG HFO – mitten im Plattenbauwald, an dem sich gerade ein Neubaugebiet für alterstgereches Wohnen anschließt. Das andere direkt an der Oder, wo Frankfurts einstige Pracht als Ruinen verkümmert.

Zu Besuchbei HFO
Und beim FCV

Mit Frankfurt bin ich noch nicht „durch“, so wie es aussieht. Irgendwie verstanden wir uns nicht so recht. Ich nicht die Verkehrsführung, Frankfurt nicht meine Wünsche. Die Atmosphäre fand ich vielschichtig. Im Supermarkt ruppig, traurig, resigniert, auf der herrlichen Oder-Insel Ziegewerder großartig. Vor dem Supermarkt (am HFO-Stadion) kam ich mit einem Herren ins Gespräch, der nicht viel Hoffnung für die Zukunft hat. Für den Nachfolger der BSG HFO allerdings noch weniger, denn „da geht niemand mehr hin“.

Ruine am Stadion

Hinter Frankfurt wurde es einsam, weit und zeitlos. Die totale Entspannung. Ein naturräumliches wildes Gebiet, in vielfacher Hinsicht Grenzland und Land zwischen den Welten. Ideal, um die gestresste Seele mal baumeln zu lassen. Zumindest bis die Hitze dann allmählich unerträglich wurde, denn eins ist hier echt rar: Schatten. Anhalten und Luftholen war kaum möglich, und so hangelte ich mich irgendwann nur noch von Einkehrmöglichkeiten zu Einkehrmöglichkeiten. Kippte alles, was flüssig und kühl war, in mich hinein, traf jede Menge andere Radler (sehr viele Polen!) und durchstreifte den aufgeheizten Raum, um am Ende in den Parsteinersee springen zu können. Leben kann so einfach sein!

Tour d’OSTalgie, Etappe 8

Gut durchgebraten, aber ein bisschen sehnig. Das dürfte mein Zustand sein heute. Vom Start weg suchte ich bei bis zu 35 Grad oft vergeblich den Schatten, und dann gab es mit 121 Kilometern den bisherigen Tourrekord. Was dann wieder mit dem absurden Plan zu tun hat, Radfahren und Fußball/Industriekultur miteinander zu verbinden. Da kommt halt was zusammen…

Deshalb gibts heute auch nur einen Kurzbericht, zumal ich ja mein ausgemachtes Date in Eisenhüttenstadt verbockt hatte und selber auf Entdeckungstours gehen musste. Und aus Guben, der Station vorher, hatte sich leider niemand gemeldet. Nun ist der Vor-Ort-Besuch auch ohne Reiseführer durchaus bereichernd, denn er macht aus einem theoretischen Wissen praktische Realität. Guben beispielsweise habe ich immer eher mit Düsterkeit verbunden. Völlig falsch! Schon alleine die Anreise von Cottbus durch eine stressentleerte Landschaft und am Kraftwerk Jänschwalde vorbei war ne Wucht. Ach, ich such gar nicht erst Worten und komm gleich mit Bildern um die Ecke…

Was ich immer wieder bewegend finde auf dieser Tour sind die offenen Grenzen in „geteilten“ Städten wie eben Guben. Ein paar Kurbelschläge, und ich bin in Polen. Offene Grenzen, das ist sicher eine der größten Errungenschaften unserer Zeit und wir sollten alles dafür tun, dass es dabei bleibt.

Nach Guben kam ich zurück auf den Oder-Neisse-Radweg, der hier zwar längst nicht mehr so spektakulär wie vor allem zwischen Zittau und Görlitz ist, aber dennoch ein sehr entspanntes Radeln ermöglicht. Auf ihm erreiche ich dann auch Fürstenberg, das bis Anfang der 1950er Jahre einsam und gemütlich an der Oder lag. Dann kamen wilde und große Pläne, begann der Bau von Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt. Während Fürstenberg wirklich hübsch ist, zeigt sich „Hütte“ nicht zuletzt durch die aufeinanderprallenden (politischen) Baustile spannend. Im Kern vom Stalinismus der Gründertage geprägter Stil mit viel Schnörkeleien, durchaus schön anzusehen. Dann, ab den 70ern, die klassische Platte, die dann nicht mehr ganz so schön ist.

Eisenhüttenstadt ist Ostblock in Reinkultur, wie ich es aus Moskau kenne, und, das hat mich überrascht, eine autogerechte Stadt wie Wolfsburg. Zweispurige Verkehrsachsen schaufeln die Autos hinein, obwohl es früher wohl nicht allzu viele waren und heute nicht mehr so viele sind. Denn Eisenhüttenstadt hat seit der Wende gut die Hälfte der Einwohner eingebüßt und steht aktuell bei 27.000.

Die Bausubstanz ist übrigens ein Problem, wie ich beim Stopp in einem gemütlichen Café in Fürstenberg erfuhr: vieles ist ziemlich marode und die Renovierung ist teuer. Dazu passt dann wieder dieses sehr erbauliches Buch zur Alltagsgeschichte in der DDR, das sehr hilfreich beim Einordnen ist.

Was den Fußball betrifft muss ich den Experten nix über Hütte erzählen. Im Stadion der Hüttenwerker wurde einst Europapokal gespielt! Heute herrscht Trisstesse. Die Fusion zum FCE hat nicht gezündet, das Stadion vergammelt, mit Dynamo ist eine frische Alternative in der Stadt am Start und was den großen Fußball betrifft, ist „Hütte“ offenbar Hansa-Stadt. Überall sind jedenfalls Koggen-Graffitis zu sehen.

Inzwischen war es halb vier und ich hatte bei dauerhaft 35 Grad im Sattel einige Lust, am Zielort anzukommen. Das war nämlich der Helenesee mitsamt Badestrand. Auf dem Weg dorthin nahm ich fix noch Finkenheerd mit, wo jedoch kaum noch was vom alten Energiewerk steht, und machte noch einen letzten Schlenker dorthin, wo nur Bekloppte wie ich hinradeln: nach Groß Lindow. Warum? Ein Jahr spielte die dortige BSG Traktor zu DDR-Zeiten zweitklassig und ziert bis zum jüngsten Tag den letzten Platz der Ewigen Tabelle der Liga. Die Loosertruppe der DDR – da musste ich dann doch mal vorbeifahren. Unfassbar, dass damals auf einer besseren Wiese ohne Ausbau zweitklassig gespielt wurde.

Dann gings endlich zum Helenesee und damit zu einer weitere Entdeckung. Drei Kilometer feinster Sandstrand, Stimmung wie an der Ostsee und ein Sonnenuntergang zum Träumen. Ach, macht schon Spaß dieser kleine Ausflug. 😁

Der Fußball-Content wird nun übrigens dünner, weil die Geschichte des Industrie-Fußballs nördlich von Frankfurt schlagartig ausdünnt. Nur Schwedt steht diesbezüglich noch auf dem Programm; allerdings erst am Dienstag.

Ihr hört von mir, the hardy cyclist!

Tour d’OSTalgie, Etappe 7

Heute hatte ich den ganzen Vormittag über mit Frauen zu tun. Erst die ein wenig in die Jahre gekommene Erika, dann Marga, die wunderschöne, formvollendete, und zwischendurch ständig mit Ilse, die in ein schwarzes Korsett gekleidet war und ziemlich hitzig daherkam.

Erika hatte ich gestern schon mal getroffen, doch da trieb uns das anrauschende Gewitter auseinander. Weil sie mir nicht aus dem Kopf ging, bin ich heute morgen gleich nochmal zu ihr geradelt. Erika heißt übrigens heute Laubusch und ist die Schwester von Marga, die wiederum inzwischen Brieske heißt und später in die Senftenberg-Dynastie heiratete.

Und Ilse? Ilse ist der Grund, warum Erika und Marga überhaupt da sind. Bzw. waren, sie heißen ja jetzt anders.

Alles verstanden? Nicht? Also gut: Erika, Marga und Ilse sind Namen der Töchter von Unternehmern aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Jene Unternehmer ließen sogenannte Gartenstädte anlegen, in denen Wohnen, Arbeiten und Freizeit auf engstem Raum stattfanden. Benannt wurden die Siedlungen und Gruben nach den Töchtern. Also „Grube Erika“ und „Grube Marga“. Mithin heute Laubusch und Brieske. Wohnstädte für das malochende Volk.

In Marga, also Brieske, traf ich mich mit einem 81-jährigen Herren, der dort sein ganzes bisheriges Leben verbracht hat. Als wir auf dem Marktplatz standen, sagte er, hier gab es alles, was man brauchte. Die Kirche, die Post, den Metzger, das Kaufhaus und die Kneipe. Heimelige Welt der Arbeiter aus den 20er Jahren. Gelebt haben dort damals übrigens viele Polen und Polnischstämmige. So wie in Gelsenkirchen zu Zeiten von Kuzorra und Szepan. Viele waren Junggesellen, blutjung und noch ganz roh in der Lebenserfahrung. „Es gab auch ein Ledigenhaus, das war auf dem Werksgelände“, bemerkte mein Gesprächspartner.

Mit einem echten Briesker Jung auf dem Marktplatz von Brieske, also Marga
Entwicklung von Erika zu Laubusch
Erika, resp. Laubusch

Bleibt noch Ilse, nicht wahr? Ilse war die Krönung, die Chefin, der Kopf des ganzen. Das ganze Unternehmen nannte sich Ilse, und vor allem war sein vornehmstes Produkt mit Ilses Namen bedruckt: Feuerbriketts, geformt aus dem schwarzen Gold der Lausitz. Das übrigens gar nicht so einfach herzstellen war, denn der Wassergehalt der Braunkohle in der Region war viel zu hoch und musste in einem aufwändigen Verfahren verringert werden. Dazu wurde die Kohle zertrümmert, mit Hitze entwässert und zu Brikets gepresst. Die dann Ilse hießen.

In den 1950ern war vor allem Brieske eine große Nummer im Fußball. Urklub SV Marga, in königsblau auflaufend, hatte es schon in den 1930ern in die Gauliga, damals Fußball-Oberhaus, geschafft. Und musste zu Auswärtsspielen ständig nach Berlin. Gut, dass da die Bahn da war, die auch die Brikettstücke von Senftenberg nach Berlin verfrachtete, wo Ilse die Wohnstuben erhitzte. Dann, zu DDR-Zeiten, inzwischen im Schwarzgelb von Aktivist unterwegs, wurde Brieske sogar Vizemeister. Und zeigte Bezirkshauptstadt Cottbus den Stinkefinger.

Fand man dort gar nicht gut, weshalb die Oberligmannschaft mal flugs nach Cottbus delegiert wurde. Ihre Nachfolger haben heut Nachmittag übrigens mit 1:2 gegen Lichtenberg 47 verloren. Noch so ein Arbeiter-Fußballtrupp, aber das ist ne andere Geschichte.

Jedenfalls musste man in Brieske ganz unten neu anfangen, marschierte ziemlich fix die Liga hoch und hielt sicht. Doch die große Zeit war vorbei. Womit es auch das große Stadion für 30.000 Neugierige nicht mehr brauchte, das man in der Gartenstaft Marga (resp. Brieske) zwischenzeitlich aus dem Boden gestampft hatte. Nach der Wende wurde es geschliffen, kamen Neubauten, deren Postadresse nun „Im alten Stadion“ lautet.

Das heutige Gelände, das altehrwürdige Glückauf-Stadion, harrt unterdessen auf dringend nötige Erweiterungen. Eine Rasenplatz und ein Kunstrasen ist alles, was man seinen Mitgliedern anbieten kann. Viel zu wenig. Der Aschenplatz hinterm Tor ist ebenso verschwunden wie die Trainingshalle und das Funktionsgebäude mit Sauna und Entmüdungsbecken. Stattdessen ein paar Container zum Umziehen („maximal sechs Jahre, hieß es damals, die sechs Jahre waren 2019 vorbei“, sagte man Gesprächspartner). Einen Tag vor mir war der mdr da und drehte für einen Bericht über die Briesker Platzprobleme. Hoffen wir, dass er Wirkung zeigt.

Zum Abschluss ging es dann aufs alte Betriebssgelände, wo der Denkmalschutz jedoch nur zwei Gebäude vom Abriss bewahrte. Wie es weitergeht, weiß niemand. Marga ist zum Problem geworden.

Das war in Großräschen etwas anders. Über eine autofreie Strecke mitten durchs alte Revier war ich nach einer halben Stunde vor Ort. Fand sofort das in gutem Zustand und sehr ddr-rige Stadion, auf dem ebenfalls Liga gespielt wurde. Und nahm mein Mittagessen auf der Aussichtsplattform über der gefluteten Abraumlandschaft ein. Großräschen hat verdrängt, was den Ort einst reich und auch im Fußball erfolgreich machte.

Großräschen

Danach begann ein leichtes Zaudern mit den hiesigen Verkehrsplanern. Dass der Radweg zwischen Großräschen und Welzow, meinem nächsten Ziel, gesperrt war, stand nicht etwa am Anfang in Großräsche , sondern erst kurz der Sperrung. 20 Kilometer Umweg oder zurück und an der dichtbefahrenen Bundesstraße entlang waren die Möglichkeiten. Ich nahm die schnurgerade Bundesstraße und übergab mich meinem Schicksal, das mich heile am Abzweig nach Welzow kommen ließ.

Dort war die Suche nach dem Besucherbergwerk vor allem deshalb frustrierend, weil es keinerlei Hinweisschilder gab und sich ganz Selzow offenbar in einem persönlicken Lockdown befand. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Irgendwann erfuhr ich, dass mein Ziel der alte Bahnhof war. Nach einem Mühen fand ich ihn und erhielt de endgültigen Knockout, als ich erfuhr, dass es kein Informationszentrum im eigentlichen Sinne ist, sondern dass von dort lediglich die Touren ins jetzt noch aktive Abräumgebiet der Region gingen.

Das mit der Beschilderung (der fehlenden) sollte sich fortsetzen. Ob, und wenn ja, in welchem „Zustand“ es einen Radweg nach Cottbus gibt war lange nicht klar. Tatsächlich gab es einen, der teilweise uralt, teilweise nagelneu war und meistens entlang der rappelvolle Bundesstraße verlief. Da kam Sehnsucht nach der friedvollen Entspannung des Oder-Neisse-Radwegs auf.

Morgen kehre ich auf ihn zurück, doch dummerweise hat mir meine Dummheit einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein gebürtiger Hütter und Stahler wollte eigens füe meinen Besuch aus Berlin anreisen und mir alles zeigen. Dumm nur, dass wir uns für Montag verabredet hatten, ich aber am Sonntag in Hütte bin. Und nix umplanen kann wegen der coronaverschärften Unterkunftsfrage, die Vorausbuchung erfordert

Also gibts den Alleinbesuch ins alte Fürstenberg und neue Eisenhüttenstadt, zu Stahl und Dynamo, in das Kukës der DDR, das mal Stalinstadt hieß. Ich werde berichten!

Tour d’OSTalgie, Etappen 5 und 6

Zwei Etappen, zwei Welten. Gestern: Einsamkeit, herrlich entspanntes Radeln durch das Grenzland an der Neisse, kurz vor dem Ende der Etappe der wahnwitzige Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau und als etwas eigentümliches Gewürz ganz am Ende Weißwasser, wo es erschreckend ruppig und gefühlt einen Hauch zu depressiv zuging. Das wurde sowohl bestätigt als auch entschärft am Halbendorfer See, wo auf dem Camping beide Welten nebeneinander agierten. Und der Vietnamese in seiner fahrbaren Essensbude neben den üblichen asiatischen Köstlichkeiten auch Döner sowie Pommes/Bratwurst anbot. Und sogar Asia-Nudeln mit Döner. Man will halt nicht auf seine Gewohnheiten verzichten…

Heute? Geballte Industriekultur. Döbern, Spremberg, Schwarze Pumpe, Spreetal, Hoyerswerda, Laubusch. Dazwischen Seen in ehemaligem Tagebau, Aufforstungsgebiete in ehemaligem Tagebau, Arbeitersiedlungen mit Kopfsteinpflasterstraßen und Begegnungen mit alten Helden der Lausitzer Fußballgeschichte.

Jetzt bin ich platt, zumal ganz schön Kilometer zusammenkamen und hinter mir ein Gewitter wütete, das in Bautzen Keller unter Wasser setzte und mich mich Blitz und Donner aus seinem Reich vertrieb. Hoffentlich kommts nicht heute Nacht, denn der Campingplatz sieht ein bisschen so aus, als käme er mit viel Wasser in kurzer Zeit nicht gut klar.

Was die Gegend betrifft bin ich begeistert. Gestern fast völlig verkehrsfrei entlang der polnischen Grenze war unfassbar entspannend. Es gab hier und da ein paar tückische Anstiege, wenn der Radweg mal zu höhergelegenen Orten aufschloss, zumeist aber ging es über Feldlandschaften oder durch Wälder, bei denen dieser alberne Spruch „man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht“ wirklich mal passte.

Die Orte winzig, köstlich, zweisprachig ( Sorbisch). Eine Gemütlichkeit, der man sich nicht entziehen kann. Wie eine Reise in die 20er Jahre, fast erwartete ich überall Pferdekutschen und Menschen in musealer Kleidung. Menschen waren aber insgesamt eher wenig zu sehen, und das ist sicher das „Problem“: man muss das wollen, hier zu leben.

Bad Muskau der Hammer. Fürst Pückler, der das alles erschaffen hat, war irgendwie der erste Rock’n’Roller: er gab sein Geld für pure Schönheit aus. Und als er pleite war, verkaufte er den ganzen Spass und begann bei Cottbus von vorne. Man kann eben nichts mitnehmen auf die letzte Reise. Die meisten Besucher, die ich im Park traf, haben das vermutlich nicht verstanden, und würden ihre Söhne oder Töchter handeln wie der Fürst einst fänden sie es wohl auch nicht lustig. Nun standen sie aber da und bestaunten die ganze Pracht, die der olle Rock’n’Roller der Welt geschenkt hatte. Ich hätt ihn gern kennengelernt, er scheint ein irrer Typ gewesen zu sein.

Bad Muskau (beide Bilder)

Erste Station heute morgen war Döbern. Kennt ihr nicht? Liegt nördlich von Spremberg und stand seit Jahrzehnten auf meiner Liste der Orte, die ich bis zu meinem Lebensende unbedingt noch besuchen will? Warum? Arbeiter- und Fußballkultur in perfekter Kombination. Eine klassische Malochersiedlung (Glas), die früh auf Fußball als verbindendes Medium setzte und dabei klassentreu in der Arbeiterbewegung kickte. Und 1929 das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft erreichte, das man unglücklich gegen den SC Lorbeer 06 um „Papa“ Seeler verlor. Zu DDR-Zeiten war man als Chemie ein Jahr Zweitligist, doch darüber decken wir besser den Mantel des Schweigens (ein Sieg…).

Vor dem Stadion, übrigens eine echte landschaftliche Perle, traf ich einen langjährigen Fan, der mir nur zu gerne erzählte, wie es früher war und was heute schief läuft. „Wir haben früher nur Fußball gehabt, heute gibt es so viel mehr, die Jungs spielen einfach keinen Fußball mehr. Außerdem fehlt es an Ehrenamtlichen.“ Na, und an Arbeitsplätzen, denn von den einst 2.000 im Glaswerk Malochenden sind exakt 20 geblieben. Heute ist Döbern fußballerisch „Energie“-Land, finden sich die Graffiti der Cottbuser überall.

Eine herrliche Perle mit Tradition!

Nächste Station: Spremberg. Wieder so ein großartiger Radweg, der mich durch Wälder und über Felder dort hinführte. Der Besuch im „1862-Stadion“ eher nüchtern, da atmet Zweckmäßigkeit, nicht Nostalgie. Dafür ist die City sehr hübsch mit ihren kopfsteingepflasterten Gassen und typischen Häusern. Leider war mein ausgemachter Ortstermin einer Krankheit zum Opfer gefallen, so dass ich mich alleine durchschlagen musste. Holen wir nach Thomas, erstmal gute Besserung!

Dann, endlich, Schwarze Pumpe! Ich kam von Trappendorf, wo das moderne Energiewerk schon früh zu sehen war. Weniger zu sehen war vom Tagebergbau, in dem die Fans der BSG Aktivist Schwarze zu DDR-Zeiten malochten und in dem Liedermacher Gundermann diese Wahnsinnsmaschine steuerte, mit der man die Kohle aus dem Boden riss. Um sie im Kraftwerk nebenan direkt in Energie zu verwandeln.

Schwarze Pumpe. Schon der Name macht neugierig. Die Geschichte auch. Und die der BSG Aktivist Schwarze Pumpe, die in ihrem Wappen übrigens ein Brikettstück hat, sowieso. Gleich am Ortseingang gibt es steinerne Informationen über den Namen. Eine alte Wasserpumpe, an der ein Gasthof entstand, diente als Namensgeber. Dann kamen die Werktätigen, baute man Wohnsiedlungen, riss den Boden auf und holte das schwarze Gold heraus.

Meine Mittagspause machte ich natürlich in Schwarze Pumpe (wenig stilgerecht in einer Döner-Bude, aber es lockte leckere vegetarische Kost 😬), dann zockelte ich weiter nach Spreetal. Selbe Geschichte, Kohle, Malocher, Arbeitersiedlungen. Aus Asphaltstraßen wurden wieder Kopfsteinpflasterpisten, und die Reise ging einmal mehr in die 50er, als Spreetal noch brodelte. Heute schläft es, ist es zum traurigen Denkmal der Vergangenheit geworden, dominiert DDR-Einheitsgrau.

Zweimal rechts abgebogen, sicherheitshalber noch mal eine ältere Dame gefragt, dann war ich am Ort meiner Begierde. Eine Brachlandschaft, die sich die Natur zurückerobert und die nur noch schwer als ein Fußballstadion auszumachen war. Immerhin standen die Tore noch, das half der Phantasie sich vorzustellen, wie hier in den 1960-er Jahren tausende von Aktivisten ihre Schwarze-Pumpe-Elf anfeuerten. Denn das heute fast zugewachsene Stadion wurde (ich glaube) 1961 eröffnet, um der BSG Aktivist SP als Heimat zu dienen. Was die Planer nicht bedachten: die Fans lebten in Schwarze Pumpe oder in Hoyerswerda und eben nicht in Spreetal. Alle mussen also angekarrt werden, und nach ein paar Jahren war das Spreetaler Stadion mit dem Umzug der BSG nach Hoyerswerda sowieso überflüssig. Zuletzt spielte Dynamo drin, jetzt ist nur noch das Funktionsgebäude in Benutzung, sind die Stehränge zugewachsen, stehen Tannen in den Toren. Ein bizarres, ein trauiges Bild aber eben auch ein Beispiel für den stetigen Wandel der Menschen, der Industrie und des Fußballs

Wie sehr die Gegend im Wandel ist sollte ich bald knallhart selbst erfahren. Um 14 Uhr hatte ich einen Termin mit zwei Fußball-Legenden der BSG Aktivist in Hoyerswerda. Weil die B96 zwischen Spreetal und „Hoywoy“, wie die Einheimischen sagen, gesperrt war, wollte ich über einen Radweg am See entlang. Meine Landkarte zeigte eine Brücke, um auf die richtige Seite zu kommen. Perfekt! Als ich den See sah war ich jedoch leicht erschrocken über seine Größe. Wie soll ich das in 45 Minuten schaffen? Aber die Brücke im Plan! Ich radelte also los, und als ich an der im Plan eingezeichneten Brücke ankam, war da nichts als unendlicher See. Geflutet. Jetzt hatte ich ein Problem. Um den See rum brauchte ich mindestens noch ne Stunde, und entlang der B96 war ja gesperrt. Ich ging auf volles Risiko und peste zurück zur B96, wo es tatsächlich einen Radweg gab, der entgegen der Beschilderung nicht gesperrt war. Als er nach ungefähr fünf Kilometern endete hörte ich Autos fahren und war erleichtert. Geschafft! Am Ende hatte ich zehn Minuten Verspätung, wohl auch, weil der bald mörderische Verkehr auf der B96 mich ziemlich zur Eile antrieb.

Vor dem Stadion in Hoyerswerda warten bereits zwei Herren im besten Alter auf mich: Jürgen Socher, Chef des Traditionsvereins der BSG Aktivist Schwarze Pumpe, sowie Peter Prell, zwölf Jahre lang Trainer der Mannschaft, die unter seiner Führung dreimal Vizemeister der Liga (2. Liga) wurde.

Links Jürgen Socher, rechts Peter Prell

Für die Dauer eines Fußballspiels plauderten wir über Schwarze Pumpe und Kulissen von 12.000 und mehr Zuschauern, ein unvergessenes Pokalspiel gegen Magdeburg, als Pumpe nur knapp die Sensation verpasste, über die übermächtige BSG Energie aus Cottbus, an der man nicht vorbeikam und über all die Strukturen, die aus dem Amateursport Fußball zu DDR-Zeiten verkappten Profisport machten. Auch in der 2. Liga. Als ich Trainer Prell fragte, wie oft er trainierte, guckte er mich erstaunt an und meinte nur: „na täglich natürlich!“

Zum Abschluss bekam ich ein Trikot der BSG Aktivist überreicht, das natürlich einen Ehrenplatz in meiner Kollektion einnehmen wird und mit seiner schwarzgelben Farbkombination eh perfekt passt. Am Montag schon der herzliche Kontakt mit Buchautor Ronny Klein, jetzt diese wunderbare Begegnung mit Legenden der Hoyerswerdaer Fußballgeschichte – so ein klein bisschen Schwarze Pumpe bin ich nun auch!

Worüber wir weniger sprachen war die Gegenwart. Kein Geld, keine Strukturen, eine Stadt, die nicht am Fußball interessiert ist. Zukunft? Hat ambitionierter Fußball in Hoyerswerda nicht. Kreisoberliga ist gegenwärtig das Schicksal des Hoyerswerdaer FC, des bisherigen Endprodukts einer Reihe von Umbennungen und Fusionen. „Da gehen noch 20 Leute hin, und ich sehe nur selten Jugendliche traineren“, sagten die beiden Hoyerswerdaer Fußballweisen resigniert.

Meine letzte Stadion war die Siedlung Laubusch, deren BSG Aktivist es mal bis in die 3. Liga schaffte und auch aus purem Kumpelgeist bestand. Auch hier wieder Arbeitersiedlungskultur, wie ich sie aus dem Ruhrpott kenne. Die Siedlung Laubusch ist einerseits eine der ältesten Gartenstädte des Landes und andererseits eine Vorhut der Industrialisierung.

Leider trieben mich zwei Sachen an: die Frage nach einem Übernachtungsplatz sowie stockdüstere Gewitterwolken aus dem Süden. Ich gab also ordentlich Gas und heizte über einen Singletrail durch den Wald erst nach Laubusch, wo das Stadion leider verschlossen war und dann weiter nach Geierswalde, wo ich am ersten Camping abblitzte, am zweiten aber Zugang fand. Uff!

Abgeblitzt wurde danach auch das angekündigte Megagewitter (5-10 mm in zehn Minuten wurden prognostiziert). Auf dem Campingplatz hieß es, ich müsste mir keine Sorgen machen, in Geierswalde regne es nur sehr selten. Und tatsächlich: während in Bautzen Keller vollliefen, blieb es hier bis auf ein paar Tropfen trocken. Und so sitze ich noch immer, während ich diese Zeilen schreibe, am Strand, kümmere mich um den Refill meiner Flüssigkeitsspeicher und genieße die am Strand hockende Jugendkultur à la Lausitz. Unterscheidet sich nicht groß von der anderswo: fragwürdige Musik, viel Alkohol, zuckersüße Techtelmechtel zwischen den Geschlechtern und insgesamt ziemlich coole, entspannte Stimmung.

Morgen gehts nach Brieske, wo ich um 10:30 Uhr einen Termin mit einem lokalen Experten habe. Ist schon klasse, so ne Recherechereise. Fühlt sich fast wie Urlaub an! Schon nett, diese Lausitz!