Viele Wege führen nach John O’Groats, und das ist wohl zugleich die größte Herausforderung vor dem eigentlichen Start: welche Strecke nehmen? Im Netz kursieren hunderte von Möglichkeiten, und auch auf dem Buchmarkt wird man reichlich bedient. Also gilt es auszusortieren.
In meinem Fall flogen als erstes jene Streckenführungen raus, bei denen hochambitionierte Rekordjäger in einer Handvoll Tagen die 1.000 Meilen (1.600 km) durchhetzten (Der Rekord steht übrigens bei 1 Tag, 20 Stunden, 4 Minuten und 20 Sekunden, aufgestellt 2001 von einem Mr. Butler). Ganz so schnell wollte ich dann doch nicht unterwegs sein, und das ist ohnehin nur über große Straßen zu schaffen, die entsprechend dicht befahren sind.
Dann gibt es die Streckenführungen, die über zig Umwege führen und alles, was touristisch halbwegs attraktiv ist, mitnehmen (eine führt gar über Stonehenge!). Da wurden dann ruckzuck aus den 1.000 Meilen bis zu 1.300, und das brauchte ich nun auch wieder nicht, denn ich will schon auf halbwegs direktem Wege unterwegs sein.
Damit war das Angebot deutlich runtergedampft, und als ich bei meinem letzten Besuch in Bristol den Cicerone-Guide „End to End Cycle Route“ fand, dessen Streckenführung mir ziemlich gut gefiel, war die Vorentscheidung gefallen. Auf mehr oder weniger direktem Wege geht die Route voran, wobei häufig kleine Nebenstraßen statt großer Ausfallachsen gewählt sind.
Im Großen und Ganzen folge ich der vorgeschlagenen Streckenführung und hab nur ein paar Nuancen verändert. Die schwierigsten Entscheidungen drehten sich um den Lake District bzw. die Yorkshire Dales und die große Frage, wie es in Schottland weitergeht. Die Schottland-Entscheidung konnte ich nach einem spannenden Abend mit einem Cyclisten und Schottland-Fan klären, der vor zwei Jahren dort war und mir wichtige Tipps gab. Bei der Frage Lake District/Yorkshire Dale entschied das Herz. Vor vielen Jahren war ich mal eine Zeitlang in Ambleside geblieben und bin einfach neugierig, wie es dort jetzt aussieht.
Die Frage ob von oben nach unten (Fachjargon: JOGLE, für „John O’Groats to Land’s End“) oder von unten nach oben (entsprechend LEJOG) ist übrigens einfach zu beantworten. Die Hauptwindrichtung ist Südwest, die Chance, mit Rückenwind zu fahren ist also auf der Süd-nach-Nord-Route deutlich größer. Und Gegenwindfahren hab ich 2014 in Patagonien wahrlich genug gehabt. Außerdem wollte ich unbedingt noch einen Schlenker durch Wales machen, und da bot sich der Einstieg im Norden (bei Chester) und das Kurbeln nach Süden an, zumal ich ohnehin von Bristol zurückfliege.
Soviel zur Theorie. Wie die Praxis aussieht wird sich dann ab Montag zeigen.
14 Tagesetappen à rund 100 Kilometer warten auf mich. Das ist überschaubar und allemal machbar. Auf meiner Testroute letzte Woche durch das ziemlich hügelige östliche Eichsfeld kam ich bei rund 65 Kilometern auf einen Schnitt von 23 km/h, so dass rund fünf Stunden reine Fahrtzeit anstehen. Das lässt ordentlich Luft für ein bisschen Landschaft und Städte tanken soaie den einen oder andere Plausch mit Einheimischen.
Gefahren wird jeden Tag, wobei ich sicherheitshalber einen Puffertag eingebaut habe. Sollte der bis Inverness in den schottischen Highlands nicht aufgebraucht sein, verwandelte ich die letzten beiden Etappen einfach in drei und genieße ein bisschen die Highlands. Von John O’Groats geht es in einer Kombination aus Bahnfahren und Radeln zurück bis nach Warrington bei Liverpool, wo dann die Wales-Exkursion beginnt. Ein Bahnticket mit Fahrrad in Großbritannien zu buchen ist übrigens ein ziemliches Abenteuer – aber das erzähl ich ein andermal.
Los geht’s kommenden Montag in Land’s End am äußersten südwestlichen Zipfel von Cornwall. Ziemlich genau 100 Kilometer sind es von dort bis nach Fowey, einem niedlichen Badestädtchen. Es werden wellige 100 Kilometer sein, und wie schön Cornwell ist muss ich wohl niemandem sagen. Am zweiten Tag steht mit dem Dartmoor das erste Highlight an, das mir aber auch ordentlich Höhenmeter auf die Uhr bringt (1.233 auf 92 Kilometer). Vorher muss ich durch Plymouth und sammle damit erste Erfahrungen mit größeren Städten. Freu ich mich jetzt nicht so drauf…
Weiter geht’s in meine alte Wahlheimat Somerset mit dem Tagesziel Glastonbury, eine Gegend, die ich ziemlich gut kenne und die recht ländlich geprägt ist. Tag vier wird dann doppelt spannend. Erst steht die Bristol-Durchquerung auf dem Programm (wobei ich mit einem fröhlichen „Goodnight Irene“ am Stadion des Stadtrivalens vorbeikurbeln werde), dann führt mich die Severn Bridge hinüber nach Wales wo ich in Monmouth die Tagesetappe beende. Am nächsten Tag führt der Weg dann direkt nach Newcastle. Ja, Newcastle! Allerdings nicht „das“ Newcastle, sondern ein gleichnamiges Dörfchen in Shropshire, nicht ganz arg so weit von Shrewsbury entfernt. Es geht durch eine wunderbare, beinahe tiefenentspannte Region, die ich von früheren Besuchen gut kenne und auf die ich mich sehr freue. Hier ist England wirklich England.
Auf der sechsten Etappe von Newcastle nach Chester wird es dann weniger gemütlich. Der Ballungsraum Liverpool/Manchester kündigt sich an, auch wenn ich bis kurz vor Chester überwiegend auf kleinen Straßen kurbeln werde. 627 Kilometer stehen in Chester auf der Uhr – klingt doch schon ganz ordentlich, oder? Am nächsten Morgen geht’s dann mitten hinein in diesen Moloch der Industriegeschichte. Über Warrington, Leigh, an Bolton vorbei führt der Weg nach Blackburn, wo ich einen kleinen Schlenker einlegen werde und den frischgebackenen Drittligaaufsteiger Accrington Stanley besuchen will. Das ist mir fast eine Mission, denn zum einen war ich vor einigen Jahren mit den Rovers dort und fand die Atmosphäre grandios, zum anderen sind die Rovers vor zwei Jahren sehr glücklich auf Accringtons Kosten aufgestiegen. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass „Stanley“ nun nachgezogen hat und will ein bisschen nachspüren, wie die Kleinstadt damit umgeht. Nachzulesen wird das dann in der zwölften Ausgabe von Zeitspiel, die im Juni erscheint. Die Etappe endet in Slaidburn mitten im Forest of Bowland in Lancashire.
Tag 8 startet hügelig und führt in den Lake Distrikt, ein touristisch leider ziemlich überlaufenes Naturspektakel mit dem wunderbarem Windermere-See und dem gleichnamigen Ort. Mich zieht es jedoch eher nach Ambleside, wo ich ein bisschen auf eigenen Spuren wandeln will ehe es ins Nachtlager nach Kewsick weitergeht – noch so ein touristisch ziemlich überlaufener Ort. Moffat wird tags darauf mein erster schottischer Zielort sein. Eine alte Kurstadt, auf die ich sehr gespannt bin. Ebenso wie auf Lockerbie, den nicht mehr ganz so jungen unter uns bekannt als jener Ort, an dem 1988 eine PanAm-Maschine nach einem Bombenattentat abstürzte, und durch den ich vorher kurbeln werde.
Dann, endlich, Glasgow! Ich war noch nie da, und die Premiere auf zwei schmalen Pneus zu absolvieren finde ich ausgesprochen charmant. Es führt übrigens ein Radweg durch die Stadt, der eine alte Bahnlinie benutzt und direkt am Hampden Park vorbeiführt. Wenn das nix ist! Mein Tagesziel habe ich nach all der großstädtischen Maloche am idyllischen Loch Lomond erreicht, wo bestimmt ein netter Campingplatz, herrliches Wetter und ein süffiges Pint auf mich wartet. Only joking, vermutlich wird es regnen und die gefürchteten Midges, Minifliegen, die überall durchkommen, werden mit mir ihren Spaß haben.
Von nun an wird es atemraubend. Entlang des Loch Lomond kurble ich weiter nach Norden in die Highland. All die Lochs, viele Berge, Whiskey-Distillerien – Schottland in Reinkultur. Und ich bin schon so gespannt drauf, denn es ist mein erster Besuch in Schottland! Glencoe am Loch Leven wird mein Tagesziel sein.
Gespannt bin ich aber auch auf den Verkehr, denn allzu viele Straßen gibt es da oben nicht mehr und so werde ich wohl mehr direkte Auto- und LKW-Konkurrenz als auf allen Etappen vorher haben.
Egal. Loch Lochy, Fort Williams. Fort Augustus und dann endlich, Loch Ness! Ein paar Stunden darf ich an seinem Ufer entlangkurbeln und hoffen, Nessy neugierig zu machen. Mit Fotos von ihr soll es aber bekanntlich schwierig sein. Dort gibt es übrigens auch wieder ein paar kleinere Straßen, so dass ich die Hektik den motorisierten KollegInnen auf der A82 überlassen kann. Tagesziel ist Inverness, Schottlands nördlichste Stadt und nach allem, was ich gehört habe, eine ebenso quirlige wie moderne „Metropole“.
Auf den beiden letzten Etappen wird es einsam, werden mich die Highlands wohl ziemlich verschlucken. Am ersten Tag steuere ich über zig Hügel den mitten im Nichts liegenden und preisgekrönten Pub „Crask Inn“ an, die einzige Versorgungsmöglichkeit über hunderte von Kilometern. Da wird dann wohl auch wild gezeltet – in Schottland übrigens fast überall erlaubt. Na und dann kommt der letzte Tag entlang der Nordküste. Ziel: John O’Groats. Ein ziemlich unscheinbares und unspektakuläres Örtchen, das nur eine Attraktion zu bieten hat: Zielort von End to End zu sein. Auf dem Weg dorthin liegen übrigens wieder eine Menge Hügel, geht es offenbar über zig Kilometer nur hoch und runter. Da dürfte das Finisher-Bier umso besser munden.
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