Willkommene und weniger willkommene Geschenke

Mein Debüt im argentinischen Fußball - mit dem perfekten Startort!

Mein Debüt im argentinischen Fußball – mit dem perfekten Startort!

Manchmal bekommt man unerwartete und herrlich schöne Geschenke. Und manchmal muss ein Radfahrerblog mit einem Fußballspiel beginnen. Denn diesbezüglich machte mir Argentinien – Mendoza – gestern eines der schönsten Einstiegsgeschenke, das ich mir vorstellen konnte. Für meinen allerersten Stadionbesuch im Land hätte ich mir vor der Reise wohl am Liebsten einen Klassiker vom Kaliber Boca vs. River oder das Rosario-Derby gewünscht. Tatsächlich aber wurde es die Partie zwischen Club Atlético Argentino Mendoza und Huracán Las Heras, zwei miteinander rivalisierende Viertligisten aus dem Großraum Mendoza, die sich gestern in der zweiten Runde des nationalen Cupwettbewerbes gegenüber standen.

Einttäuschend? Nein, denn es war eine Partie, bei der alles stimmte! Das Stadion – eine brummige alte Fußballarena, die wahrlich schon bessere Tage gesehen hat aber in Würde alt und knorrig geworden ist. Jeder Stein, jedes Eingangstor, jede Holzbank hatte Tausende von Geschichten zu erzählen, und wenn man sich das Publikum dazu anschaute, bekam man die Geschichten auch zu sehen und vor allem zu hören. Dann seine Lage im Stadtviertel San José und mitten im Leben der Einheimischen. Als ich Mittag in einem innerstädtischen Fußballshop nach der Partie fragte, sagte man mir, ich solle auf KEINEN FALL irgendwelche Wertsachen mitnehmen („keine Kamera, kein Handy, nur das notwendigste Geld“), denn das Stadion liege in einem gefürchteten Viertel. Als mein Radelpartner und Mitfußballfreund Terry und ich eine Stunde vor dem Anpfiff ankamen, stand prompt schwerbewaffnete berittene Polizei in für ein Viertligamatch beachtlicher Anzahl bereit, tauchten wir zunächst in einer kleinen Bar unter und kamen ins Gespräch mit drei Anhängern des einheimischen Teams, die uns erzählten, dass keine Gästefans aus Las Heras zugelassen sind, weil es bei den letzten Derbies zu Ausschreitungen kam.

Die ein heimischen Hinchas mit ihrer Einlaufshow.

Die einheimischen Hinchas mit ihrer Einlaufshow.

Spiel und Atmosphäre waren grandios. Zwei verbissen miteinander ringende Teams, die keinen Ball verloren gaben. Ein Publikum, das mit vollem Herzen und einem gewaltigen Repertoire an Kraftausdrücken und Beleidigungen den Gegner niedermachte und die eigene Equipe hochleben ließ. Ich will an dieser Stelle nicht weiter rumschwärmen, denn es soll ja um Radfahren gehen, für mich war es jedenfalls ein phantastischer Einstieg ins unverfälschte Herz des argentinischen Fußballs, und das allermeiste, was ich sah (und hörte – die Hinchas der Argentinos waren ebenso zahlreich wie grandios!) machte verdammt Lust auf mehr. Zumal zur Halbzeit ein Besuch im Klubmuseum anstand, bei dem es neben Hinweisen auf frühere Argentinos-Spieler wie Carlos Babington auch einen fetten Wimpel sowie ein Trikot vom Klubpräsidenten persönlich gab. „Krönender“ Abschluss des außerradsportlichen Highlights war ein kleines Feuergefecht der Polizei mit den einheimischen Anhängern nach dem Abpfiff (Argentinos verlor nach Elfmeterschießen), wobei erstere Gummigeschosse abgaben und letztere mit Böllern antworteten. Kann man im ersten Spiel mehr „Fútbol argentino“ bekommen?

Mit dem stolzen Klubpräsidenten.

Mit dem stolzen Klubpräsidenten im Vereinsmuseum.

Und damit zum anderen, dem eigentlichen Thema. Wo mir der Fußball ein unerwartetes und herrliches Geschenk machte, bereiteten mir die Präsente während unseres kleinen Radausfluges in den letzten sechs Tagen allerdings durchaus auch ein bisschen Bauchgrummeln und Kopfschütteln.

Die Woche begann spektakulär mit einem 119 Kilometer-Ausflug von Chilecito nach Villa Unión, der von einigen baubedingten Verkehrsproblemen geprägt war. Während unsere Begleitfahrzeuge einen 300-Kilometer-Umweg fahren mussten, durften wir Radler nach Rücksprache mit den Straßenbauern auf einer gerade entstehenden Straßenverbindung pedalieren, die in spektakulärer Art und Weise die Sandogasta-Bergkette passiert. Zwar ging es dabei tüchtig bergauf, und auch die Bauarbeiten waren mitunter nicht einfach zu bewältigen, doch der Lohn kam prompt und fiel überwältigend aus. Die Landschaft gehörte ganz bestimmt zu den schönsten, die ich in meinem Leben gesehen habe. Satte Rottöne auf den Felsen, eine liebliche und vermutlich uralte Schlucht mit einem im gegenwärtigen Frühling nur plätschernden Strom, im Hintergrund schneebedeckte Anden-Gipfel – das war allerfeinste Sahne. Wie immer kommen Landschaften auf Fotos nicht so raus, wie sie im Original aussehen, ich hoffe aber, die Bilder verleihen dennoch einen kleinen Eindruck.

Tatsächlich noch viel schöner - im Tal der xxx

Tatsächlich noch viel schöner – im Sandogasta-Tal.

Auf der Baustelle.

Auf der Baustelle.

Von dem etwas enttäuschenden „Campingplatz“ direkt neben der Tankstelle in Villa Unión habe ich schon berichtet, und so kann ich direkt überschalten zu Tag 2, der uns mitten in die Sierra de la Punilla führte. Ein echter Tag mit zwei Hälften. Die ersten rund 100 Kilometer: langweilig und langwierig. Über unendlich lange Asphaltspuren frästen wir uns als Peloton durch den leichten Gegenwind und waren bei Temperaturen von 45 und mehr Grad froh über jeden Kilometer, den wir unter unsere Pneus bekamen. Dann kam eine Rechtskurve und wir standen erstens vor einer Wand und zweitens in einer anderen Welt. Bizarre Felsformationen türmten sich vor uns auf, und die Wand, das war die Straße, die mit bis zu 14 Prozent auf sie hinaufführte. Inzwischen lachte die Mittagssonne in voller Pracht, was den Anstieg zu einer höchst schweißtreibenden Angelegenheit werden ließ. Aber erneut belohnte uns die Natur, die inmitten einer höchst ariden Landschaft sagenhafte Formationen schuf. Und nach 20 Kilometern des Anstiegs tauchten wir schließlich in einen herrlich im Tal gelegenen Campingplatz ein, der offenbar derart gut versteckt lag, dass trotz Freitagabend nicht die sonst üblichen argentinischen Barbeque-Horden über uns herfielen und wir eine geruhsame Nacht verbringen konnten.

Nach über 1000 Kilometer im flachen Niemandsland standen wir plötzlich vor einer Wand.

Nach über 100 Kilometer im flachen Niemandsland standen wir plötzlich vor einer Wand.

Dann ging es los, das Drama. 74 Prozent Asphalt sagte der Tourplan über die dritte Etappe aus. Das Ziel war Tocota, eine aus exakt drei Gebäuden bestehende Polizeistation mitten im Nichts. Und ins Nichts führen nun mal keine bequemen Asphaltstraßen, sondern rumpelige Schotterpisten. 95 recht wellige Kilometer auf Asphalt lagen bereits hinter uns, als der Horror begann. Während der kaum zu befahrende Untergrund – entweder eine brutal harte Steinpiste oder eine wachsweiche Schotterbadewanne – die Durchschnittsgeschwindigkeit auf wohlwollenden 8 km/h reduzierte, sorgte die im Rücken brennende Sonne für ein regelrechtes Fegefeuer. In Minutenschnelle sanken die Wasservorräte am Rad, und je weiter wir auf der „Piste“ fortschritten, desto schlimmer wurde sie. Vor allem die sandigen Passagen waren bald gar nicht mehr zu fahren, und so habe ich von den knapp 40 Kilometern sicherlich fünf oder sechs zu Fuß hinter mich gebracht. Bei knapp 50 Grad wahrlich keine Wonne.

In meiner persönlichen Rankingliste würde ich diese Piste gleich hinter der nordkenianischen Wüste auf Platz zwei der anstrengendsten Oberflächen einordnen, auf denen ich jemals versucht habe, mein Rad vorwärts zu bewegen. Und das Schlimmste: die Piste war schnurgerade und führte mit zwei bis drei Prozent bergauf. Nichts, woran sich der Blick festhalten konnte. Wohin man schaute, nur Piste und Wüste. Nur fern am Horizont, da waren ein paar Bäume zu sehen. Unser Ziel. Tocota. Bei durchschnittlich acht km/h blieb es jedoch quasi unbeweglich und kam nur in Zeitlupe näher. Förmlich ausgesaugt und komplett ausgelaugt kamen wir schließlich nach viel zu vielen Stunden dort an und warfen uns erschöpft in die Zelte. Und weil es mein „Glückstag“ war, hatte ich am Abend auch noch Küchendienst und durfte beim Abwaschen helfen…

entweder knüppelhartes Gestein...

entweder knüppelhartes Gestein…

... oder tiefer Sand...

… oder tiefer Sand…

Wie kaputt wir alle waren spürte ich am nächsten Morgen, als ich zum ersten Mal seit dem Start in Quito tatsächlich meinen Wecker brauchte, um pünktlich aufzuwachen. Normalerweise geht das automatisch – 6.15 Uhr öffnen sich die Augen, 15 Minuten vor dem Wecker. Diesmal riss er mich aus dem Schlaf, und kaum hatte ich die Knochen ein wenig bemerkt, spürte ich die unendliche Schwere in den Beinen. Die aber sollte rasch herauskommen , denn wo es bergauf geht, geht es auch wieder bergab. Und so rumpelten wir über eine ähnlich bescheidene Schotterpiste langsam wieder hinab, kämpften abermals mit dem Untergrund und vor allem tückischen Sandpassagen, die einem blitzartig die Räder blockieren ließen. Als ich nach 60 Kilometern endlich wieder auf Asphalt traf, war ich völlig geschafft und kroch die verbliebenen 70 Kilometer durch welliges Gelände nach Barreal.

Doch die Woche war ja noch nicht vorbei. Zwei weitere Fahrtage standen an, und beide konnten mit Überraschungen aufwarten. Zunächst verabschiedete Barreal uns freundlicherweise mit einem feinen Rückenwind, der mich mit 40 km/h einen leichten Anstieg hinaufschob und von einer frühen Ankunft im Camp träumen ließ. Der Traum zerplatzte abrupt, als bereits nach 49 Kilometern eine weitere Dirt Road begann, die eigentlich erst ab Kilometer 62 angekündigt war. Schlagartig sackte das Durchschnittstempo auf mittlere Zehnerzahlen ab, spürte ich unter meinem maladen Hintern jeden einzelnen der hunderttausend Steine, mit denen die Piste gespickt war. Quälende 35 Kilometer galt es darauf zu überbrücken, ehe sich die Straße wieder in eine Asphaltpiste verwandelte und ich hinunter nach Uspallata fliegen konnte.

Gestern nun die Krönung der Woche. Zunächst ein Anstieg von 2.000 auf 3.000 Meter („natürlich“ auf einer rumpeligen Naturpiste, die allerdings nicht annähernd so schlimm war wie die der Tage zuvor), dann über 356 Kurven auf einer landschaftlich grandiosen Rumpelpiste hinab auf 1.000 Meter, wo uns eine schnurgerade Asphaltpiste schließlich über 35 Kilometern bis nach Mendoza transportierte. Dort stand ein letzter Anstieg zum Campingplatz an, ehe die Hammerwoche endlich vorbei war und die müden Knochen (und vor allem der geplagte Hintern) zwei Tage Radpause bekamen.

auf geht es in die 356 (ungezählten) Kurven

auf geht es in die 356 (ungezählten) Kurven

Es war eine der härtesten Wochen der gesamten Tour – vielleicht sogar die härteste. Vieles kam zusammen. Die Hitze und Trockenheit – kein Tag unter 40 Grad, und weil die Etappen lang waren (zwischen 107 und 135 km), kamen wir stets in die Mittagshitze. Das rüde Terrain, das das Fahrtempo empfindlich reduzierte. Die Steigungen, die nach Wochen des relativ flachen Altiplano bzw. Nordargentiniens ganz schön in die Beine gingen. Und dann natürlich irgendwie auch die grundlegende Müdigkeit, die wir nach rund 6.700 gefahrenen Kilometern alle in den Beinen haben – verbunden mit der Sehnsucht nach „Normalität“, nach funktionierenden Toiletten, ekeligen Duschen, an denen nicht der Putz von den Wänden fällt, Nächten in weichen Federbetten statt auf harten Isomatten.

Doch The Andes Trail geht weiter, und das vermutlich unerbittlich. „There are no easy days on the Andes Trails“, erzählt die Tourleitung schon seit Quito gebetsmühlenartig. Wir glauben ihr längst. Nächste Woche zum Beispiel gibt es nur einen Tag mit 100 Prozent Asphalt – der Rest wird wieder eine Mischung aus Asphalt und Dirt sein. Und wie unterschiedlich die Pisten hier ausfallen, haben wir wahrlich deutlich gespürt.

Aber sprechen wir nicht mehr über Qualen (die ohnehin relativ sind), sprechen wir lieber über die Geschenke, die wir hier reichlich bekommen. Seit Argentinien hat sich der Charakter der Tour spürbar verändert. Es ist nun weniger eine Radeltour durch fremde und – aus unseren Augen – exotische Kulturen, die vor allem von Begegnungen mit Menschen geprägt ist, es ist vielmehr ein immer tieferes Eintauchen in die südamerikanische Landschaft. Auf den drei Tagen zwischen San José de Jáchal und Uspallata habe ich zusammengefasst vielleicht 50 oder 60 Menschen gesehen, sind mir bestenfalls fünf bis sechs Autos begegnet. Es ist die pure Einsamkeit, und unsere Begegnungen mit anderen Lebewesen beschränken sich auf Tiere. Auf dem Weg nach Uspallata begegnete ich einer Herde freilaufender Pferde, auf dem Anstieg zu den 365 Kurven nach Mendoza wurden wir von neugierigen Guanacos beobachtet und auf dem Boden kreucht und fleucht allerlei Käferwelt sowie die eine oder andere Schlange. Dadurch wird The Andes Trail irgendwie langsam auch zu einer Reise ins eigene Ich, denn wenn man mit sich, einer schwierigen Piste und der Natur alleine ist, ergeben sich intensive Wahrnehmungswelten und –gefühle.

Und damit lasse ich Euch nun allein mit Euern eigenen Gedanken und Gefühlen – nicht jedoch ohne Euch noch ein paar Fotos zur Anregung der Phantasie dazulassen. Hasta pronto!

Im Peleton durch die Landschaft fräsen - seht Ihr die unendliche Straße?

Im Peleton durch die Landschaft fräsen – seht Ihr die unendliche Straße?

Mein Radelkumpel Buck auf der Horrorpiste

Mein Radelkumpel Buck auf der Horrorpiste

Hier Hitze, dort schneebedeckte Hänge.

Hier Hitze, dort schneebedeckte Hänge.

Neugierige Guanacos

Neugierige Guanacos

Wilde Pferde (mit einem ganz speziellen Gruß in die Heimat ;-)

Wilde Pferde (mit einem ganz speziellen Gruß in die Heimat 😉

Immer wieder skurille Felsformationen

Immer wieder skurille Felsformationen

 

 

bei aller (relativer) Quälerei - es ist eine Wonne, hier durchzuradeln!

bei aller (relativer) Quälerei – es ist eine Wonne, hier durchzuradeln!

Wieder eine von diesen wie hineingefrästen Straßen.

Der Autor dieser Zeilen quält sich über eine dieser wie in den Fels gefrästen Straßen.

Wie klein sind doch Radfahrer im Vergleich zu Felsformationen.

Wie klein sind doch Radfahrer im Vergleich zu derartigen Felsformationen.

Lächeln auf der Gravelroad - muß am Fotografen gelegen haben (Danke Hardy!)

Lächeln auf der Gravelroad – muß am Fotografen gelegen haben (Danke Hardy!)

Auf dem Weg nach Villa Unión. Nur keine nassen Füße kriegen!

Auf dem Weg nach Villa Unión. Nur keine nassen Füße kriegen!

Argentinis I: Kurze Spielunterbrechung, als ein paar einheimische Anhänger auf den Platz liefen.

CA Argentino I: Kurze Spielunterbrechung, als ein paar einheimische Anhänger auf den Platz liefen.

CA Argentinos I: Der Zugang für die Abonnenten war abgesperrt.

CA Argentino II: Der Zugang für die Abonnenten. Ungenutzt?

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